
Nicht nur in Bremen wird Thomas Schaaf für seinen Offensivfußball als Trainergenie verehrt.
(Foto: imago sportfotodienst)
Ausgerechnet in dem Land, in dem Ronaldo und Messi mehr Tore schießen als die Saison Spieltage hat, huldigen Fans einem Trainer aus Deutschland. Sie verehren Thomas Schaaf für bedingungslosen Offensivfußball - den "Schaafismo".
Spiele von Thomas-Schaaf-Mannschaften sind einfach wunderbar. Oder grausam, je nachdem. Ständig herrscht Torgefahr, aus Sicht der Fans leider nicht immer auf der richtigen Seite. Ob Werder Bremen oder Eintracht Frankfurt: Die Teams stürmen begeistert nach vorn und verteidigen eher lustlos. Immerhin wurden so legendäre Werder-Spiele möglich: 7:2 gegen Wolfsburg im September 1999, 6:0 gegen den HSV im Mai 2004, 5:2 gegen Bayern München im September 2008. Auch in seiner kurzen Zeit bei Frankfurt hat die Eintracht schon zwei Schaaf-typische Spiele gezeigt: Ein 4:5 gegen den VfB am 9. und ein 4:4 gegen Hertha am 16. Spieltag.
Doch nicht nur an Main und Weser weiß man den Spielstil des wortkargen Trainers zu schätzen. Ausgerechnet dort, wo Stürmer wie Cristiano Ronaldo und Lionel Messi jeweils 38 Tore und mehr in der Liga schießen, ruft Thomas Schaaf Bewunderung hervor: in Spanien. Dort spricht man vom "Schaafismo", zu Deutsch "Die Lehre des Schaaf".
Mit der kamen spanische Fußballfans um 2005 in Kontakt. Zu der Zeit also, als Werder erstmals mit Schaaf in der Champions League auftrumpfte und zu Hause gegen Anderlecht mit 5:1, auswärts gegen Valencia mit 2:0 siegte, aber auch einmal mit 2:7 gegen Olympique Lyon unter die Räder kam. Die Zeitschrift "Club Perarnau", die Schaaf in ihrer aktuellen Ausgabe mit einem zehnseitigen Bericht ehrt, rühmt ihn unter andere dafür, Werder zu einem Teil der "europäischen Fußball-Aristokratie" gemacht zu haben.
"Schaafismo" bedeutet echte Leidenschaft
Auch die Spielkultur-Webseite "Marcardorint" widmet sich dem "Schaafismo". Dort heißt es in einer Spielanalyse über die Begegnung der Eintracht gegen Schalke: "Nichtsdestotrotz verinnerlicht die Mannschaft die schaafistische Idiosynkrasie, weil für Eintracht Frankfurt der Angriff an erster Stelle steht." In dem Text geht es um die Frage, ob im Spiel des neuen Schaaf-Teams bereits dessen Handschrift zu erkennen ist. Laut Autor des Berichts war sie es – wenn es auch am Ende 1:0 für die Gelsenkirchener stand.

Spätestens seit 2005 wird Thomas Schaaf nicht nur in Deutschland für seinen Spielweise gefeiert.
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Doch Werder- und Frankfurt-Fans wissen auch, dass die Freude über die vielen Tore auch einen gravierenden Nachteil hat. Ständig muss man sich fürchten, ein Gegentor zu kassieren. Wenn die eigenen Verteidiger bis zur Mittellinie aufrücken, ist es eben dann doch schwierig, den gegnerischen Stürmer aufzuhalten, der gerade wieder einmal alleine auf das eigene Tor zustürmt. "Die schaafistische Mentalität der Eintracht spiegelt sich auch in einer zum Teil chaotischen Verteidigung", heißt es in besagtem Bericht.
"Aber das ist ja gerade das Gute!", würde nun wahrscheinlich ein überzeugter "Schaafista" ausrufen. Denn der will ja Tore sehen, der will das Drama, der will das Ausgleichstor in der vorletzten Minute kassieren, um dann noch den Siegtreffer in der Nachspielzeit zu bejubeln. Der erträgt die ganz großen Niederlagen, weil er auf ganz große Siege hoffen darf. Er will: echte Leidenschaft. So gesehen liegt es gar nicht so fern, dass dieses Spielverständnis unter Spaniern Anklang findet. Und das nicht nur wegen ihres Temperaments.
Nach dem "Schaafismo" ist vor dem "Schaafismo"
Auch weil sie eine Liga haben, in der das eine Topteam ständig gewinnt und das andere auch. Das eine, indem es immer die besten Spieler zu Höchstpreisen einkauft und das andere, indem es Wunderkinder zu Superstars hochtrainiert. Das eine, indem es unendlich viele Tore schießt, das andere, indem es den Gegner einfach vom Spiel ausschließt und den Ball endlos zirkulieren lässt.
Dass man das große Drama bei Real Madrid und dem FC Barcelona zumindest auf dem Spielfeld oft vermisst, ist kein Wunder. Ein Wunder ist es schon eher, dass ein eher wortkarger Trainer aus Bremen diese Leidenschaft wie kein Zweiter auf den Platz zu bringen vermochte und damit manch einem Spanier das Herz erweichte. Im "Club Perarnau"-Bericht heißt es anerkennend, Schaaf habe bei Werder die im Fußball herrschende Marktlogik ausgehebelt.
Der deutsche Fußball-Autor Ronald Reng ("Spieltage") hat auf seiner Facebook-Seite gar ein "Lexikon des Schaafismo" erstellt. Neben dem totalen Übergewicht der Offensive mit den bekannten Folgen für die Defensive ist ihm noch der "Post-Schaafismo" aufgefallen. Dieser seltsame Begriff bezeichnet die Zeit danach. Die Ernüchterung, die Katerstimmung. Wenn die Mannschaft beginnt, pragmatischer zu spielen, weil sie einfach nicht mehr so viele Tore kassieren will. In Bremen trifft dies wohl am ehesten auf die Zeit mit Robin Dutt zu. Wenn man bedenkt, wie erfolgreich danach Viktor Skripnik Werder mit dem alten System zurück in die Spur brachte, ergibt sich daraus für die Freunde des Offensivfußballs eine tröstende Wahrheit. Nach dem "Schaafismo" ist vor dem "Schaafismo".
Quelle: ntv.de