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Das Hauptmedikament der Neurologen So bahnt sich Botox seinen Weg

Behandlungen mit Botox als Faltenglätter werden immer öfter in Anspruch genommen.

Behandlungen mit Botox als Faltenglätter werden immer öfter in Anspruch genommen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Nervengift Botox, vor allem als Faltenglätter bekannt, wird seit Jahren als Wirkstoff bei neurologischen Erkrankungen erfolgreich angewandt. Es könnte jedoch auch als bioterroristische Waffe missbraucht werden. Bei der Untersuchung, wie genau das potente Toxin im Körper agiert, stoßen Wissenschaftler auf Zucker.

Ein Forscherteam hat herausgefunden, wie es dem lebensgefährlichen Nervengift Botulinumtoxin (Botox) gelingt, sich in die Blutbahn des Menschen einzuschleusen. Den Wissenschaftlern um Dr. Andreas Rummel vom Institut für Toxikologie der Medizinischen Hochschule Hannover ist es gelungen, zusammen mit Kollegen aus den USA unter Leitung von Prof. Jin von der Universität Californien die komplizierte Raumstruktur des Neurotoxins und dessen Funktionen zu ermitteln. Dafür waren Elektronenmikroskopie und Röntgenstrukturanalyse nötig.

Bereits im vergangenen Jahr konnten die Forscher klären, dass sich das Gift mit einem Eiweiß umhüllt und so der Zersetzung im Magen-Darm-Trakt entgehen kann. Mit dem Wissen um Aussehen und Funktion des Gift-Paketes können sie noch einen Schritt weiter gehen. Nun ist es möglich, einerseits Botox-Vergiftungen wirksamer zu bekämpfen und andererseits den Wirkstoff des Medikaments Botox besser zu verstehen.

So ähnlich wie das Apollo-Mondlandemodul

Die Raumstruktur des Botulinum-Komplexes aus zwei verschiedenen Perspektiven.

Die Raumstruktur des Botulinum-Komplexes aus zwei verschiedenen Perspektiven.

(Foto: Rummel, MHH)

Das Nervengift besteht aus einem 14-teiligen Komplex, der mehr als 6500 Aminosäuren in sich trägt. "Das Gebilde, das wir entschlüsseln konnten, erinnerte an das Mondlandemodul der Apollo-Mission", erklärte Dr. Rummel in einem Gespräch mit n-tv.de. "Der rot-violette Komplex im Bild obenauf zeigt das Neurotoxin, also das Gift an sich. Das aus dem Hintergrund hervorschimmernde rote Molekül stellt das Schutzprotein dar, das sich mit dem Gift bei saurem pH-Wert verbindet", so Rummel weiter.

Beide Stoffe sind an einer kleinen Stelle mit weiteren drei Proteinen verbunden, die als gleichseitiges Dreieck angeordnet sind. Dieser Subkomplex besteht aus insgesamt zwölf Teilen, nämlich aus sechs Teilen HA33, das im Bild orange-braun dargestellt wird. Dazu kommen drei Teile H70 (grün, türkis, blau) und drei Teilen H17 (gelb). "Die sechs HA33-Teile beinhalten sechs der neun Interaktionspunkte. Der Kern des Subkomplexes besteht aus drei Molekülen HA70, welche die restlichen drei Zuckerbindungsstellen beisteuern. Die drei HA17-Proteine vermitteln die Bindung zwischen HA33 und HA70. Mit Hilfe dieses Komplexes dockt das Gift auf der Oberfläche des Dünndarms an", erläutert Rummel die Funktionsweise.

Dieser sogenannte HA-Komplex bindet bis zu neun Kontaktpunkte an Zucker auf der Oberfläche des Dünndarms, macht diesen durchlässig und kann so das Gift direkt in die Blutbahn schleusen. Nur ein vollständiger HA-Komplex kann die starken Bindungen zwischen den Zellen in der Darmwand auflösen. Mit dem Blut verteilt sich das Gift schließlich im Körper, gelangt zu den Nervenenden und schaltet dort die Übertragung von Botenstoffen, sogenannten Neurotransmittern, aus. Dann können die Muskeln im Körper nicht mehr angespannt werden und der Patient, der mit Botulinumtoxin vergiftet ist, stirbt schließlich an Atemversagen.

Hochpotentes Gift und wirksames Medikament

Botox

Botulinumtoxin, kurz Botox, gehört zu den stärksten bekannten Giften. Nur ein Esslöffel davon beispielsweise im Berliner Trinkwasser würde ausreichen, um alle Einwohner der Hauptstadt zu töten.

Ursprünglich wurde das Botulinumtoxin durch die heute seltene Krankheit Botulismus bekannt, einer tödlichen Lebensmittelvergiftung.

Das Nervengift ist das Produkt, das Bakterien, sogenannte Clostridien, herstellen. Es entsteht vor allem in verdorbener Wurst und nicht fachgerecht eingeweckten Lebensmittelkonserven.

Die Bakterien wachsen unter Abschluss von Luft. Je besser die hygienischen Bedingungen in einem Land sind, umso geringer ist die Anzahl von Botulismus-Fällen.

Das Gift wirkt an den Nervenenden und blockiert dort Botenstoffe. Das führt dazu, dass die Muskulatur erschlafft. So kann auch die Atmung nicht aufrechterhalten werden und der Mensch stirbt.

"Eine Botulinumvergiftung wirkt so ähnlich, als würden sie in ein Haus einbrechen und den Zugang zum Strom kappen. Das Haus ist dann als solches nicht mehr zu benutzen. Patienten mit Botulismus müssen künstlich beatmet werden, damit sie überleben können", erzählt Rummel. Bei einer schweren Vergiftung durch verdorbene Lebensmittel einmal in die Nervenendigung aufgenommen, dauert der Abbau des Neurotoxins durch körpereigene Enzyme bis zu sechs Monate. Das bedeutet, der Patient liegt im schlimmsten Fall über diesen Zeitraum auf der Intensivstation, wird dort künstlich beatmet, ist aber bei vollem Bewusstsein. Zum Glück werden heute vom Robert- Koch-Institut nur noch 10 bis 20 Fälle von Botulismus im Jahr in Deutschland labortechnisch bestätigt.

Die Erkenntnis, dass sich das Gift an Zuckermoleküle im Darm bindet, haben sich die Forscher zunutze gemacht, um eine neue Therapiemöglichkeit bei einer Vergiftung zu entwickeln. "Wir haben durch gentechnische Experimente die Zuckerbindungstaschen in den HA-Proteinen ausgeschaltet und sahen keinen Transport des HA-Komplexes durch die Darmzellschicht. Anschließend haben wir durch die orale Gabe von nichtabbaubaren Zucker die Bindungsstellen abgesättigt, so dass die Bindung an den Darm und so auch die Verteilung des Giftes in den Blutkreislauf nicht mehr möglich war",  erklärt Rummel. Die Forscher konnten sowohl durch Tests mit Zellkulturen als auch an Mäusen diese Annahmen bestätigen. Das Wissen wäre vor allem als präventiver Schutz für Sicherheitskräfte, Soldaten oder als Maßnahme zur Abwehr von Terrorattacken mit Botulinumtoxin interessant.

"Botox ist das Hauptmedikament der Neurologen", betont Rummel. 2012 wurde Botox weltweit im Wert von zwei Milliarden US-Dollar eingesetzt. Nur die Hälfte des Umsatzes wird im kosmetischen Bereich gemacht, die andere Hälfte bei schwerwiegenden neurologischen Erkrankungen. Der Einsatzbereich des Nervengiftes ist bei richtiger Dosierung vielfältig. Neben Bewegungsstörungen durch neurologische Ausfälle kann Botox außerdem bei Erkrankungen wie übermäßigem Schwitzen, Spastiken nach Schlaganfall, Wundheilungsstörungen, überaktiver Blase und chronischer Migräne helfen. In Zukunft soll das Gift auch bei Patienten mit Prostataleiden, Depressionen oder Heuschnupfen Gutes tun. Untersuchungen dazu laufen.

Quelle: ntv.de

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