Panorama

Mutierter EHEC-Keim auf Gurke Experten rätseln weiter

Eine Biologin bereitet eine Gurke zur Untersuchung auf verotoxinbildende E. coli-Bakterien vor.

Eine Biologin bereitet eine Gurke zur Untersuchung auf verotoxinbildende E. coli-Bakterien vor.

(Foto: dpa)

Erstmals kann das besonders aggressive EHEC-Bakterium auf einem Lebensmittel nachgewiesen werden. Experten finden den mutierten Keim auf Gurkenresten einer Magdeburger Familie, die an EHEC erkrankt ist. Im gesamten Umfeld der Familie werden keine weiteren EHEC-Keime festgestellt. Möglichweise gelangt das Bakterium von den Erkrankten auf das Lebensmittel. Derweil reagieren Bund und Länder.

Erstmals kann ein Träger nachgewiesen werden.

Erstmals kann ein Träger nachgewiesen werden.

(Foto: dpa)

Auf einem Gurkenrest in einer Mülltonne in Magdeburg haben Experten die grassierende Form des EHEC-Keims nachgewiesen. Dies teilte der Sprecher des Landesgesundheitsministeriums, Holger Paech, mit. Die Mülltonne gehört einer Familie, die an EHEC erkrankt ist. Sachsen-Anhalt gilt bislang nicht als Schwerpunkt der Epidemie: Insgesamt gibt es in dem Bundesland 32 EHEC-Fälle, davon 7 mit der schweren Verlaufsform (HUS).

Der Vater der Familie in Magdeburg war leicht erkrankt, die Mutter wurde in einem Krankenhaus behandelt und ist inzwischen wieder entlassen. Die Tochter leidet noch unter HUS, ist aber auf dem Weg der Besserung, hieß es weiter. Die Eltern beide 50 Jahre alt, die Tochter erwachsen.

Von der Familie auf die Gurke?

Wie das Bakterium in die Mülltonne geriet, blieb zunächst unklar. "Es ist nicht klar, und wir werden nicht mehr zweifelsfrei ermitteln können, wie er da hingelangt ist", sagte Paech. Die Gurkenreste lagen dort schon mindestens seit eineinhalb Wochen. Die weitere Suche nach den EHEC-Darmkeimen im Umfeld der Familie hatte kein Ergebnis gebracht. Es sei auch kein Bezug der Familie zu Norddeutschland bekannt.

Die Ermittler untersuchten auch Supermärkte, in denen die Familie eingekauft hatte. Nirgendwo wiesen die Proben Auffälligkeiten auf. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass die Familie erkrankt sei und von ihr der Erreger dann auf die Gurke übertragen wurde, sagte Paech.

Leichte Entspannung erkennbar

Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat die Epidemie bisher 26 Todesopfer in Deutschland gefordert. Es sei nicht auszuschließen, dass es weitere Todesfälle und Neuinfektionen gebe, sagte er nach einer Krisensitzung der Gesundheits- und Verbraucherschutzminister von Bund und Ländern in Berlin. Es sei noch nicht die Zeit für eine Entwarnung.

Bahr betonte aber zugleich, es gebe berechtigten Anlass für Optimismus, "dass wir bundesweit das Schlimmste hinter uns haben". Dies zeigten die in den vergangenen Tagen vom Robert-Koch-Institut erfassten zurückgehenden Zahlen von Neuinfektionen. Die bestehenden Verzehr-Empfehlungen für rohe Gurken, Tomaten, Salat und Sprossen müssten dennoch aufrechterhalten werden.

Bund und Länder wollen besser koordinieren

Bund und Länder hatten auf der Sitzung in Berlin eingeräumt, dass ihr Krisenmanagement bei der Bekämpfung des EHEC-Ausbruchs nicht optimal gelaufen ist. Sie kritisieren, dass sich in den vergangenen Tagen gleich mehrere Behörden sowie Landes- und Bundesminister zu dem Krisengeschehen geäußert hatten und die Vielzahl der Stimmen in der Öffentlichkeit für Verunsicherung gesorgt hatte.

EU-Gesundheitskommissar Dalli, Gesundheitsminister Bahr und Verbraucherschutzministerin Aigner (v.l.n.r.) erläutern die Ergebnisse der Konferenz.

EU-Gesundheitskommissar Dalli, Gesundheitsminister Bahr und Verbraucherschutzministerin Aigner (v.l.n.r.) erläutern die Ergebnisse der Konferenz.

(Foto: dpa)

EU-Gesundheitskommissar John Dalli hatte an der Krisensitzung teilgenommen. Er sagte, EU-Experten hätten sich in den vergangenen Tagen ein Bild der Lage in Deutschland gemacht und seien von den Anstrengungen im Kampf gegen EHEC beeindruckt gewesen. Nun sei nicht der Moment für Kritik. Nach dem Ende der Krise solle aber über mögliche Lehren gesprochen werden. Einige Minister hatten eine stärkere Bundeskompetenz gefordert. "Die Stärken zu bündeln, wäre der richtige Weg", sagte Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder.

Auch die SPD bescheinigt der Bundesregierung ein "schlechtes Handwerk" bei der Krisenbewältigung. "Dem Bürger bietet sich derzeit ein unglaublich verwirrendes Schauspiel", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann bei n-tv. Aus einem halben Dutzend verschiedener Quellen müsse man sich die Informationen zusammensuchen, um sich eine Meinung zu bilden. "So kann das nicht weitergehen. Wir brauchen jetzt ein koordiniertes Krisenmanagement der beiden Bundesministerien mit den 16 Länderministerien." Nur so könnten die dezentralen Akteure koordiniert werden.

Absage an eine neue Behörde

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) wollte sich nicht der Kritik aussetzen. "Die Zusammenarbeit hat funktioniert", sagte sie auf dem Krisentreffen. "Bund und Länder sind sich einig, dass nach dem aktuellen Geschehen eine sorgfältige Evaluierung der Zusammenarbeit zwischen EU, Bund und Ländern sowie zwischen den Gesundheits- und Lebensmittelüberwachungsbehörden erfolgt."

In der Krise nach weiteren Institutionen zu rufen sei "typisch Deutsch", meint Minister Bahr.

In der Krise nach weiteren Institutionen zu rufen sei "typisch Deutsch", meint Minister Bahr.

(Foto: dapd)

Auch Bahr wollte nicht von einem Kompetenzwirrwarr sprechen. Es sei sinnvoll, dass verschiedene Aufgaben auch unterschiedlich erfüllt würden. Bahr betonte: "Ich habe keinen Anlass, an der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern zu zweifeln." Es sei eine "typisch deutsche Diskussion", dass nun wieder nach einer neuen Behörde gerufen werde. Auch werde es keine zentrale Seuchenbekämpfung geben.

Bauern sollen mehr Geld bekommen

Die EU-Kommission will Gemüsebauern wegen der EHEC-Krise deutlich besser entschädigen als bisher geplant. Für Umsatzeinbußen sollen die europäischen Landwirte 210 Millionen Euro statt der bisher geplanten 150 Millionen Euro erhalten, sagte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos in Brüssel. Die EU-Staaten müssen dem Vorschlag noch zustimmen. Am nächsten Dienstag werden die Experten der Mitgliedstaaten in Brüssel zusammenkommen und entscheiden. Das Geld soll aus dem EU-Agrarhaushalt kommen. Ciolos will nun auch Zucchini und Paprika bei den Hilfen miteinbeziehen.

Viele Länder hatte die erstgenannte Summe als zu gering erachtet. Insbesondere für Spanien war es zu wenig Geld. Spanische Bauern waren besonders betroffen, weil deutsche Behörden vor dem Verzehr spanischer Gurken gewarnt hatten. Spanische Bauernverbände hatten die Einbußen auf 200 Millionen Euro pro Woche beziffert.

Bauern: pauschale Warnung aufheben

Wegen der gravierenden Umsatzeinbußen fordern Gemüsebauern die Aufhebung der pauschalen Warnung vor Gurken, Tomaten und Salat. Das Bundesverbraucherministerium und die zuständigen Bundesbehörden hätten bisher kein Indiz dafür präsentiert, dass von den betreffenden Gemüsesorten eine generelle Gesundheitsgefährdung ausgehe, erklärte die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) in Bonn. "Eine differenzierte Verzehrempfehlung der zuständigen Stellen würde dazu beitragen, die enormen wirtschaftlichen Schäden zu begrenzen", hieß es.

Gemüsebauer Hermann Voges in Ronnenberg bei Hannover isst demonstrativ seinen Eisbergsalat.

Gemüsebauer Hermann Voges in Ronnenberg bei Hannover isst demonstrativ seinen Eisbergsalat.

(Foto: dpa)

Der Verband verwies darauf, dass das von den deutschen Erzeugerorganisationen freiwillig untersuchte Gemüse in allen Fällen EHEC-frei war. Bislang seien über 1000 Proben von 144 verschiedenen Gemüsearten auf eine mögliche Kontamination mit dem Darmkeim untersucht worden. Zudem seien Kühlhallen, Verpackungen, Waschwasser und Bodenproben analysiert worden. Diese Proben seien ebenso wie die amtlichen Proben durch die Behörden EHEC-frei gewesen, erklärte die BVEO.

"Wir haben bereits Umsatzeinbrüche von 30 bis 40 Prozent bei Obst und Gemüse", sagte der Sprecher des Handelsverbands Deutschland (HDE), Kai Falk, der "Bild"-Zeitung (Mittwochausgabe). Auch bei anderen Lebensmitteln gingen die Umsätze deutlich zurück. "Der Handel spürt die große Verunsicherung der Kunden."

Protest-Essen in Stuttgart

Die CDU in Baden-Württemberg will angesichts der EHEC-Debatte ein Zeichen setzen und lädt zum demonstrativen Gurkensalatessen ein. "Am 9. Juni wollen der Fraktionsvorsitzende Peter Hauk und der landwirtschaftliche Sprecher der Fraktion, Paul Locherer, auf dem Wochenmarkt in Stuttgart über die Lage informieren, so die CDU-Landtagsfraktion. Ausdrücklich wird darauf verwiesen, dass bei Produkten aus Baden-Württemberg kein einziger Erreger nachgewiesen worden sei. Dennoch litten auch die Gemüsebauern in dem Bundesland darunter, dass ihre Produkte aus Angst nicht mehr gekauft würden.

Hinweise auf Sprossen-Hof verdichten sich

Derweil haben sich die Hinweise auf den gesperrten Sprossen-Hof in Niedersachsen als mögliche Quelle für die EHEC-Epidemie verdichtet. Eine dritte Mitarbeiterin des Gärtnerhofs in Bienenbüttel sei im Mai vermutlich an dem Darmkeim erkrankt gewesen, teilte Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) mit. Inzwischen sei sie aber wieder gesund. Zuvor waren drei Erkrankungen dort registriert. Bei zwei weiteren EHEC-Patienten in Cuxhaven gibt es Verbindungen zu dem verdächtigen Hof. "Das sind Betroffene, die Produkte aus Bienenbüttel konsumiert haben", so Lindemann.

Spurensuche auf dem Gärtnerhof bei Bienenbüttel.

Spurensuche auf dem Gärtnerhof bei Bienenbüttel.

(Foto: dpa)

Der Gärtnerbetrieb hatte meist über Zwischenhändler Sprossen an zahlreiche Restaurants, Hotels und Kantinen geliefert, deren Gäste teils dutzendfach an EHEC erkrankten. Betroffen waren unter anderem ein Golfhotel im Kreis Lüneburg, ein Restaurant in Lübeck sowie Kantinen in Darmstadt und Frankfurt am Main.

Allerdings hatten die EHEC-Fahnder bislang direkten keinen Erfolg auf dem Hof: In den ersten 23 von 40 Proben fand sich keine EHEC-Erreger. Auch eine alte, im Kühlschrank vergessene Sprossenpackung eines EHEC-Patienten war frei von den Bakterien.

Forscher kommen offenbar voran

Unterdessen haben Ärzte der Universitätskliniken Greifswald und Bonn Hinweise auf die Ursache schwerer Verläufe bei EHEC-Patienten mit HU-Syndrom gefunden. Vieles deute darauf hin, dass neben dem Giftstoff Shigatoxin auch die Bildung von Autoantikörpern für schwere Schädigungen verantwortlich sei, sagte der Transfusionsmediziner Andreas Greinacher vom Universitätsklinikum Greifswald.

Die Autoantikörper verursachten einen Anstieg eines Gerinnungsfaktors, wodurch die Durchblutung wichtiger Gehirnregionen und der Nebennieren eingeschränkt sei. Sie werden nur von einigen EHEC-Patienten gebildet. Inzwischen wurden erste schwer erkrankte Patienten mit einer speziellen Blutwäschetherapie behandelt. "Die ersten Entwicklungen bei den Blutwerten stimmen uns optimistisch."

Klinik ruft zu Blutspenden auf

In den Krankenhäusern gehen die Blutvorräte zur Neige.

In den Krankenhäusern gehen die Blutvorräte zur Neige.

(Foto: dpa)

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) rief erneut zum Blutspenden auf. In den vergangenen drei Wochen seien allein am UKE mehr als 6000 Plasmakonzentrate für die Versorgung der HUS-Patienten eingesetzt worden, berichtete eine Sprecherin. "Das entspricht etwa der Menge an Plasma, die sonst in drei bis vier Monaten gebraucht wird." Die Reserven müssten vor allem mit Blick auf die nahenden Sommerferien möglichst schnell wieder aufgefüllt werden.

Derzeit sind bundesweit rund 3000 EHEC-Fälle und -Verdachtsfälle registriert, davon 700 mit besonders schwerem Verlauf. Mindestens 26 Menschen starben. In den stark betroffenen Ländern Hamburg und Niedersachsen flacht der Anstieg der Infektionszahlen deutlich ab. Dagegen war die Zahl der Neuinfizierten in Schleswig-Holstein deutlich gestiegen.

Außerhalb Deutschlands gibt es nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) insgesamt schon über 100 EHEC- und HUS-Fälle. Bei HUS kann es unter anderem zu Nierenversagen kommen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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