"Polizeiruf 110" aus MagdeburgAlles Lüge

Überzeugender Cast, solider Fall, offen bis zum Schluss - die Koordinaten des neuesten Falls aus Magdeburg könnten passen. Begeisterung stellt sich dennoch nicht ein. Die Polizei agiert am Rande der Debilität, und wer ist Doreen Brasch?
Zugegeben - es kann ja auch eine Wohltat sein, all die Macken und Marotten, die Schrullen, die Scherze, die seelischen Sollbruchstellen der Herren und Frauen Kommissare mal nicht im Dutzend vorgetanzt zu bekommen. Insofern ist Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) ein fast schon wohltuend unbeschriebenes Blatt. Sie kann ganz gut laufen, fährt gern Motorrad und … tja, was eigentlich? Ermittelt mit eher nachlässigem Händchen, laviert zwischen Desinteresse und Arroganz und hat immer diesen ganz bestimmten Seitenblick ins Nichts, als würde sie regelmäßig von Jobmüdigkeit heimgesucht und viel lieber mit einem guten Buch und einem Kräutertee auf dem Sofa liegen, um die Welt Welt sein zu lassen.
Es ist der sechste Fall aus Magdeburg, und eigentlich könnte sich doch so langsam mal etwas wie ein emotionaler Bezug zum dortigen Team auftun. Das Entführungsdrama "Dünnes Eis" hat jedenfalls einiges an Ingredienzen für einen spannenden Sonntagabend. Im Mittelpunkt steht Mutter Peelitz (wunderbar wie stets: Christina Große), die mit ihrer Tochter Kim (Lucie Hollmann) zusammen in einer Siedlung lebt, wo langsam, aber sicher der Putz nicht nur von den Häusern, sondern auch vom Leben abblättert.
In den offenen Fenstern der Puppenhäuschen drücken lebensgelangweilte Zwangs-Bohemièns die Kissen platt. Man kennt sich, man grüßt sich und alle eint der Gedanke, genau hier am liebsten nicht sein zu wollen. Kim ist schon 23 Jahre alt, aber ihr Zimmer sieht aus wie das einer Elfjährigen. Muttern macht und kümmert und strengt sich an, den Laden am Laufen zu halten, hat aber ein Problem, das sich wie ein schmieriger Film über ihr Leben legt: Sie nimmt es mit der Wahrheit nicht allzu genau. Mit einem Anruf gerät alles schließlich endgültig aus den Fugen: Kim wurde entführt. In einer dramatischen Video-Botschaft übermittelt sie die Forderungen ihrer Kidnapper - 100.000 Euro und um keinen Preis die Polizei einschalten.
Ein Hauch von Tempo und Drama
Für den ersten Teil soll es eine ominöse Erbschaft geben, die sich auf genau auf jenen Betrag beläuft, an den zweiten wird sich gar nicht erst gehalten. Die gebeutelte Mutter geht zur Polizei, die Ermittlungen laufen an, Sonderkommission, Ringfahndung, V-Männer, Bullen in Zivil, und alle immer schön mit Spiralkabel am Kragen und Knopf im Ohr. Unauffällig geht dann doch irgendwie anders, aber zumindest fühlt man sich so ein bisschen, als würde irgendwo gleich Jack Bauer ums Eck kommen.
Die Autoren Eoin Moore und Anika Wangard haben ihre Geschichte von Sehnsucht und Ausweglosigkeit stimmig arrangiert und mit adäquat tragischem Personal bevölkert; den Weg vom Buch zum Film übersteht das Drama dennoch nicht. Angelegt als Psychostudie zweier schicksalhaft miteinander verbundenen Frauen, kümmert sich die Geschichte doch kaum um ihr Innenleben. Die Koordinaten bleiben statisch, drumherum wird ein wenig Polizeieinsatz gespielt. So wie man es sich eben von den Großen vorstellt: beschatten, belauschen, besprechen, zwischen improvisiert und amateurhaft.
Unglaublich, wie Hauptkommissar Dirk Köhler (Matthias Matschke) da eine Armlänge vom zu beschattenden Verdächtigen, Kims Stiefvater Jost Liebig (Eckhard Preuß), mit dem Chef telefoniert, und wie der dann wiederum höchst vertrauliche Kommunikation zur Mutter der Entführten durchsickern lässt. Mit dem Bus zum Einsatz, "bitte beschatten, rechts und links", und immer schön die Hand am Ohr - jede Kita-Rollenspielgruppe würde das wohl überzeugender über die Rampe bringen.
Am Schluss bekommt das Geschehen doch noch einen Hauch von Tempo und Drama, zwischen Brasch und Köhler bleibt jedoch ebenso Distanz wie zwischen ihnen und dem Zuschauer. Was sind ihre Motive, was treibt sie um? Haben die überhaupt eigene Wohnungen? Hier wird auch weiterhin vergeblich auf Auserzählung gewartet.
Der Grat zwischen lakonisch und langweilig ist schmal und die Balance hält "Dünnes Eis" leider nicht, was nicht zuletzt auch am Dilettantenstadl vom Revier liegt. Zudem bleibt am Ende eine Frage offen: Was hat der Titel mit der Geschichte zu tun? Team Magdeburg verfügt über Potential, aber auch noch über jede Menge Luft nach oben.