Panorama

Kampf gegen VorurteileTangotänzer mit Down-Syndrom

12.08.2008, 09:59 Uhr

Tango ist aus Argentinien nicht wegzudenken. Doch eine Tangoschule ist einzigartig auf der ganzen Welt. Denn die Tänzer haben das Down-Syndrom.

Vier Paare bewegen sich über die kleine Tanzfläche im Takt eines Tangos vom CD-Player. Auf bunten, an der Wand aufgereihten Plastikstühlen sitzen Tangoschüler, die noch nicht so perfekt tanzen können. Sie schauen ihren Freunden zu, auch Martina. Sie schwärmt von diesem Tanz. Stolz zeigt sie ihre neuen Schuhe. Absatz, schwarzes Leder, echte Tangoschuhe eben. Eine Stunde verbringt sie jeden Donnerstag im Collectivo - so heißen die Busse in Buenos Aires, mit denen die Schüler zum Tangounterricht der Selbsthilfegruppe AMAR gefahren werden. Und diese Tangoschule ist einzigartig auf der ganzen Welt. Denn Martina und ihre Tanzpartner haben das Down-Syndrom.

Tango ist aus Argentinien nicht wegzudenken - ein erotisch- melancholischer Tanz, erfunden von heimwehkranken Einwanderern Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Tangotänzer ermögliche seinem Publikum durch seine ganz und gar eigene Interpretation einen besonderen Einblick in die argentinische Kultur, sagt Carlos Rodrguez Robert, Tangolehrer von AMAR. "Das ist bei diesen Tänzern genauso. Nur, dass sie halt über andere geistige Fähigkeiten verfügen."

Zuschauer sind gerührt

Robert ist stolz auf seine Tänzer, die er Artistas, Künstler, nennt. Die vier fortgeschrittenen Paare bilden eine Tanzgruppe, die schon im ganzen Land auf Tournee gewesen ist. Oft würden die Leute im Publikum weinen, so gerührt seien sie, schwärmt Robert. "Die meisten Leute nehmen an, dass Menschen mit Down-Syndrom zu gar nichts fähig sind." Aber diese Einstellung ändere sich schnell, wenn sie seinen Künstlern zuschauten.

Allerdings fällt den Schülern das Tanzen nicht ganz leicht: "Menschen wie du und ich brauchen ein Jahr, um ein bestimmtes Niveau zu erreichen", meint Robert. Seine Schüler bräuchten hingegen zehn Jahre. Viele der Behinderten haben motorische Probleme und Hörschäden, andere können sich nur schwer ausdrücken. Bei seiner Arbeit stehen dem Tanzlehrer drei Psychologen zur Seite.

Vor 30 Jahren noch unmöglich

Und mit der Disziplin ist es auch nicht so einfach. Robert stöhnt und lächelt dabei. Manchmal ist es schwer, die Schüler im Zaum zu halten. Sobald die Musik stoppt, lassen die Tänzer ihren Partner einfach stehen. Dann müssen Robert und seine Helfer neue Paare bilden. Die Schüler wuseln durcheinander, umarmen sich und quatschen. Es bedarf schon einiger Anstrengungen, um sie erneut zum Tanzen zu bewegen.

Noch vor 30 Jahren wäre so etwas ganz unmöglich gewesen, erzählt Robert. Damals hätten die Eltern ihre behinderten Kinder aus Scham versteckt. Dass sich heute diese Einstellung erheblich geändert hat, bestätigt auch Pedro Crespi von ASPRA, einer Selbsthilfegruppe für Eltern, deren Kinder Down-Syndrom haben. Erst vor einigen Wochen habe die Präsidentin Christina Kirchner die UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen unterzeichnet, betont er.

Wenige besuchen eine Schule

Aber zwischen Gesetz und Wirklichkeit klafft noch eine große Lücke: Obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass jedes Kind mit Behinderung ein Anrecht auf speziellen Unterricht hat, halten sich die öffentlichen Schulen aus Kostengründen nicht daran. Nur die teuren Privatschulen bieten entsprechenden Unterricht. "Das führt dazu, dass nur behinderte Kinder wohlhabenderer Eltern eine Schulbildung bekommen", entrüstet sich Crespi. Deshalb könnten nur etwa zehn Prozent aller Kinder mit Down-Syndrom überhaupt eine Schule besuchen.

Diese sozialen Unterschiede setzen sich auch in der Arbeitswelt fort. 80 Prozent aller Argentinier mit Down-Syndrom haben keine Arbeitsstelle, beklagt Crespi. Die Tanzgruppe AMAR aber macht den Argentiniern eindrucksvoll klar, dass Menschen mit Down-Syndrom keine unbeholfenen Behinderten sind, sondern genauso gute Mitarbeiter, Künstler und sogar hingebungsvolle Tango-Tänzer sein können.

Quelle: Naomi Conrad, dpa