Bürger als PräsidentKöhler muss weitermachen
Horst Köhler war 2004 der Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Ein Technokrat, hieß es. Und neoliberal sei er auch. Doch in seinen fünf Jahren im Amt hat der Bundespräsident auch die Kritiker überzeugt.
Der Bundespräsident ist seine Paraderolle - die von Mathias Richling: Steif steht er da, die Augen weit aufgerissen, ein unbedarftes, schüchternes Lächeln im Gesicht, die Hände streng am Manuskript. Er spricht mit fester Stimme, das hat er sich fest vorgenommen. Zuweilen blitzt das Schwäbische durch, die Intonation mit der Betonung vieler vorletzter Silben ist gewöhnungsbedürftig. Nicht immer finden die Sätze ihr Ende, und mancher Ausdruck ändert sich selbst widersprechend durch seine Reden. So hallen stets Appelle und diese wieder Relativierendes den Worten nach. Dann schunkelt Köhler mit dem Kopf hin und her und blickt freundlich geradeaus. Ja, Köhlers beste Auftritte sind eigentlich die von Köhler als Mathias Richling. Äh, nein, natürlich umgekehrt.
Doch unterschätzen Sie Köhler nicht! Sicher, aufmüpfig ist er nicht. Aber er redet auch niemandem nach dem Munde. Er wolle notfalls auch "unbequem" sein, verkündete Köhler vor fünf Jahren und kein "Unterschriftenautomat". Tatsächlich verweigerte er, zum Ärger der Union, gleich bei zwei Gesetzesvorhaben seine Unterschrift. Aber unbequem? Nein, das ist er nicht. Erleben die Bürger Köhler als Querulanten, als einen, der versucht, überparteilich der Regierung auf die Finger zu schauen, manchmal auch zu hauen, sich lautstark einzumischen? Nein, der politische Quereinsteiger Köhler, der 2004 im Hinterzimmer von Guido Westerwelle, Angela Merkel und Edmund Stoiber als Überraschungskandidat für das Amt ausgekungelt wurde, ist kein Parteipolitiker und kein Stratege, kein Intellektueller und selbst das Repräsentieren liegt ihm eigentlich nicht. Alles in allem ist Köhler … einfach ziemlich normal.
Aber genau das ist auch sein großer Vorzug. Die Leute mögen, dass immer auch ein wenig Unsicherheit durchscheint, wenn das Staatsoberhaupt auftritt. Dass da kein Wadenbeißer, kein Sprechblasenrhetoriker steht und orakelt, sondern einer, dem man anmerkt, wenn er nach den richtigen Worten sucht, dem man anmerkt, wenn er sich unwohl fühlt, einer, der sein tiefes Mitfühlen am Leiden anderer nicht unter einem professionellen, staatstragenden Auftritt verbergen kann. Kurz, Köhler ist dem Volke nicht entrückt, mit ihm ist - wie selten mit einem Politiker - Identifikation möglich.
Wohl deshalb wird Köhler gerne als "Bürgerpräsident" etikettiert. Was nicht heißt, dass ihm die Nähe zu anderen Bürgern, dass ihm das "Bad in der Menge" liegt. Er sei so volksnah, liest man. Köhler bei Reden, beim Sommerfest, bei Reisen oder Preisverleihungen, da spürt man eher seine Erleichterung, wenn der Trubel vorbei ist und er sich wieder zurückziehen kann. Empfänge und Bälle, große Runden und flotte Gesten sind seine Sache nicht.
Köhler hat ganz andere Stärken: Interesse, Ehrlichkeit, Genügsamkeit und Offenheit. Köhler ist ein guter Zuhörer. Er versucht zu verstehen, was die Menschen bewegt, wo ihre Probleme liegen. Und er nimmt Anteil. Egal, ob er die sozial Benachteiligten, die Underdogs unserer Gesellschaft im Blick hat oder ob es sein energisches wie unprätentiöses Eintreten für Afrika ist. Hier handelt einer aus Überzeugung und mit Sachverstand für eine gerechtere, bessere Welt – einer, der darum weiß, dass das nur in kleinen Schritten gelingen kann, für die zu kämpfen es sich aber lohnt. Köhler sagt, was er denkt, mahnt zum Verzicht, lobt auch mal Gerhard Schröder oder liest der Finanzwelt die Leviten.
Mit der Berliner Politik ist Köhler - was kein Manko ist - in den letzten fünf Jahren nicht warm geworden. Oder sind es die politischen Führungskräfte nicht mit ihm? Man lässt sich in Ruhe. Kein Wunder, Köhler passt einfach nicht in die Riege der Karrierepolitiker, Lobbyvertreter und Phrasendrescher. Dem 66-Jährigen gehen die Selbstdarstellerqualitäten dafür gänzlich ab.
Bescheiden und uneitel füllt Köhler das höchste deutsche Amt aus. Er wurde darum gebeten, beworben hatte er sich nicht. So führt er auch diesmal keinen Wahlkampf und ist zudem frei von jedweder herablassenden Attitüde gegenüber den Herausforderern.
All das ist es, was Köhler so beliebt beim Volke macht. 70 bis 80 Prozent der Wähler würden sich, glaubt man den Meinungsumfragen, im Falle einer Direktwahl des Staatsoberhauptes für den Amtsinhaber entscheiden. Das ist bemerkenswert für einen, der 2004 als neoliberaler Technokrat verschrien, vom Internationalen Währungsfonds kommend, der Öffentlichkeit noch nahezu unbekannt war.
Das ist es dann auch, was Horst Köhler für Mathias Richling ausmacht: Schwäbische Weltläufigkeit. "Auf der einen Seite", so Richling, "war er früher in allen möglichen Positionen unterwegs, in Washington beim Weltwährungsfonds, und er hat bestimmt von vielen Dingen eine Ahnung . . . Gleichzeitig macht er den Eindruck, als ob er jeden Abend aus dem Fenster guckt und aufschreibt, wann die Nachbarn aus dem Haus gehen und wann sie wieder zurückkommen. Diese polyglotte Spießigkeit, dieses weltläufige Enge, das ist das, was mich fasziniert."
"Köhler hat eine zweite Chance verdient", hieß es diese Woche oft. So ein Unsinn. Köhler hat bereits seine erste Chance genutzt. Er hat seine Sache in den letzten fünf Jahren gut gemacht, immer besser gemacht sogar. Köhler muss weitermachen.